Quelle: F.A.Z.

Wir wollen sicher dieses Gefühl wiederbeleben, das Mainz 05 vor 15 Jahren beim ersten Aufstieg getragen hat. Damals haben die Fans vom Traum Bundesliga gesungen, und das tun sie übrigens auch noch heute. Mainz 05 geht jetzt in die zehnte Spielzeit in Serie nach dem Wiederaufstieg. Deshalb halten wir das für einen guten Zeitpunkt, daran zu erinnern, dass die Bundesliga angesichts der Größe der Stadt und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer etwas wie ein tatsächlich gelebter Traum bleibt.

Offenbar fällt es den Mainzern aber schwer, nach den vielen Jahren der Gewöhnung an die Bundesliga das noch als Traum zu empfinden.

Die vergangene Saison war fußballerisch sicher teilweise schwierig. Die Menschen hatten, ob zu Recht oder nicht, nicht in jedem Spiel das Gefühl, dass sich die Mannschaft zerreißt. Genau das aber macht den Mainzer Traum aus. Man kann verlieren, und Abstiegskampf ist auch erwartbar für Mainz 05, aber man muss eben so spielen, wie Mainz 05 es sich auf die Fahnen schreibt. Zudem hatten die Fans das Gefühl, dass der Verein sich lange vor allem mit sich selbst und Politik beschäftigt, statt den Verein voranzubringen.

Mit Sportvorstand Rouven Schröder als Nachfolger von Christian Heidel, Ihnen und dem Aufsichtsrat gab es ja einen radikalen Bruch in der Führung, in der der alte Vorstand überhaupt nicht mehr vertreten ist. Ist Mainz 05 ein ganz neuer Verein seit Ihrem Amtsantritt im Februar?

Wir haben neue Strukturen und natürlich auch einige neue Personen. Aber wir haben auch sehr viele Teile des bisherigen Vereins erhalten. Mir ist es sehr leicht gefallen, mich in dieses Umfeld, das ich über die Geschäftsstelle hinaus bis zu den Fans als sehr positiv wahrnehme, einzufinden. Deshalb sind wir kein neuer Verein, aber wir verändern uns an den Stellen, wo es notwendig ist.

Was meinen Sie damit?

Das sind viele unterschiedliche Ansatzpunkte. Angefangen dabei, dass wir auf der Geschäftsstelle jetzt möglichst offene Türen haben und demnächst auch noch umbauen wollen, um dieses Zusammengehörigkeitsgefühl und die neue Kultur zu stärken und erlebbar zu machen. Bei Strukturen haben wir uns genau angeschaut, wo organisatorisch einiges im Argen lag. Der Verein war ja nun mal extrem schnell zu einem mittelständischen Unternehmen gewachsen, da kommt es automatisch zu den sprichwörtlich „gewachsenen Strukturen“. So haben sich beispielsweise gleich drei von vier Geschäftsführern um die sehr eng miteinander verbundenen Themen Merchandising, Mitgliederservice und Ticketing gekümmert. Das geht effizienter und auch komfortabler für die Anhänger.

Das Debakel des deutschen Teams bei der WM hat gerade nahegelegt, dass die Menschen genug haben vom Marketingsprech rund um den DFB von Hashtags wie #BestNeVerRest bis zum Slogan von „Die Mannschaft“. Wie wollen Sie Mainz 05 wiederbeleben?

Wir arbeiten gemeinsam mit unseren Fans an einem Leitbild. Das wird vermutlich beinhalten, dass wir Ecken und Kanten haben, und auch das gallische Dorf, als das sich Mainz 05 besonders in den ersten Jahren der Bundesliga empfunden hat. Darüber hinaus geht es um Themen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, Mut und Fähigkeit zur Selbstironie. Das hat dann nichts mit Marketingbotschaften zu tun, sondern mit dem, was unsere Anhänger empfinden und was der Verein als seine Werte versteht.

Mainz 05 gibt den Fans erstaunlich viel Mitsprache: Das Leitbild haben Sie schon angesprochen. Beim Trainingsauftakt durfte der Vorsänger der Ultras zur Mannschaft sprechen. Kritische Stimmen aus dem Altvorstand bemängeln, dass der Verein den Ultras überlassen wird. Wie weit wollen Sie als Klub gehen?

Es ist natürlich nicht so, dass der Verein den Ultras überlassen wird. Es geht immer um ein Geben und Nehmen und das war auch früher schon so. Solange unser Vertrauen nicht missbraucht wird, sehe ich keinen Anlass, nicht alle ins Boot zu holen. Unsere Ultras sind zu einem sehr großen Teil kluge Leute, mit denen man vernünftig reden kann. Das heißt nicht, dass wir alles akzeptieren, was die aktive Fanszene tut. Es wird Grenzüberschreitungen geben, die wir nicht akzeptieren. Aber wir sollten offen sein für Gespräche. Und wir stellen ja auch fest, dass das beiderseitig so gesehen wird: Die Fanszene hat unser Vereinsmotto „Unser Traum lebt“ eins zu eins übernommen. Das war vor einem Jahr noch undenkbar, da gab es zwei konkurrierende und nicht abgestimmte Abstiegskampf-Mottos.

Leitbilder können auch schnell in Schubladen oder irgendwo in den Untiefen der Homepage verschwinden. Warum soll das bei Mainz 05 anders sein?

Die Gefahr sehe ich nicht, weil wir gemeinsam mit den Fans arbeiten und weil wir einander zuhören. Wir reden auch mit Trainer und Mannschaftsrat über das Leitbild, auch mit der Nachwuchsabteilung haben wir schon gesprochen, weil alle mitgestalten sollen. Es war vielleicht ein Versäumnis, ein solches Leitbild vorher nicht ernsthaft erarbeitet zu haben. Der Verein hatte seine Identität und Geschichte, aber manchmal muss man so etwas niederschreiben, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Unser Leitbild wird nichts Künstliches, sondern etwas, hinter dem alle stehen. Wir überhöhen es nicht, schaffen aber eine Grundlage für alles, was wir künftig tun, von der Gestaltung der Geschäftsstelle bis hin zur externen Kommunikation.

Das „alte“ Mainz 05 war überzeugt, dass man das Image am besten beeinflusst durch die Geschichten im Sport. Die beiden Nichtauftstiege in den Jahren 2002 und 2003 waren das Fundament für die Geschichte vom gallischen Dorf und Karnevalsverein. Warum braucht das „neue“ Mainz 05 jetzt Impulse von außen?

Mainz 05 hat sich in den vergangenen Jahren mit sehr vielen Dingen beschäftigen müssen, die den Blick vielleicht von der Selbstvergewisserung abgelenkt haben. Wenn ein Leitbild nicht nur irgendwelche austauschbaren Claims produziert, dann ist es hilfreich. Es gibt genug Beispiele in der Bundesliga, wo Klubs etwas geschaffen haben, das klare Richtung vorgibt. So etwas hilft dann auch in sportlich schwierigen Zeiten. Was fußballerisch passiert, bleibt natürlich das am meisten Prägende – wie in Mainz ebendiese Bereitschaft, nach misslungenen Aufstiegsversuchen es noch einmal zu probieren. Man braucht es aber vor allem für Phasen, in denen man keinen Erfolg hat.

Wo sind für Sie die Grenzen des Vermarktens?

Erst einmal ist jedem bewusst, dass man Geld verdienen muss, wenn man in der Bundesliga mitspielen will. Das akzeptiert auch jeder Fan. Die Entwicklung unserer Marke, eine Identität herzustellen wird akzeptiert. Aber dabei ist wichtig, dass wir die Bedürfnisse der Zielgruppe berücksichtigen. Man entwickelt ja nicht eine Marke für den Klub oder zu seinem Selbstzweck, sondern weil man damit die Fans erreichen und mitnehmen will. Nur dann ist man auch interessant für Sponsoren, die ja über uns unter anderem auch die Fans erreichen wollen.

Bei der Nationalmannschaft merkt man gerade, dass die Fans sehr sensibel reagieren, wenn die Marketingsprache den Boden der Realität verlässt. Wie stellen Sie sicher, dass Sie es nicht übertreiben?

Mainz 05 ist eine regionale Marke. Das ist erst einmal ein ganz großer Unterschied. Wir sprechen die Menschen in unserer Region an, und da würden wir es sehr direkt merken, wenn wir nicht mehr die Sprache der Fans sprechen. Um das zu schaffen, hören wir den Fans zu und beziehen sie ein.

Ist dann Gefahr in Verzug, wenn ein Investor ins Spiel kommt?

Auch das muss man differenziert betrachten. Investor ist nicht gleich Investor. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Fans des VfB Stuttgart ein Problem haben mit dem Einstieg von Mercedes-Benz als Investor. Ganz im Gegenteil. Das gehört zur regionalen Identität wie der VfB und dient dem langfristigen Wohl des Vereins. Erst wenn man einem Investor zu viele Rechte einräumt, die den Interessen der Mitglieder zuwiderlaufen, wird es gefährlich.

Mainz 05 hat große Transfereinnahmen erzielt durch den Verkauf von Abdou Diallo und Suat Serdar und für die drei Franzosen Mateta, Kunde und Niakhaté ordentlich Geld ausgegeben. Hat der Klub einen neuen finanziellen Level erreicht?

Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen, mal klarzustellen, wie viel von einer Ablösesumme tatsächlich bei uns landet. Wir zahlen auf Gewinne Steuern. Bei einem Transfer wie dem von Abdou Diallo können das durchaus mal sechs oder sieben Millionen sein, die wir nach Abschreibungen ans Finanzamt zahlen müssen.

Aber es geht dem Verein gut genug, dass Rouven Schröder nun auch als Einkäufer tätig werden konnte. Mainz 05 geht es also gut?

Ja. Das kann man festhalten. Wir sind wirtschaftlich gesund, haben ein Eigenkapital von über 30 Millionen Euro und schreiben auch in diesem Jahr wieder Gewinne.

Ein kritisches Thema in Mainz sind die Zuschauerzahlen. Wie wollen Sie wieder mehr Menschen ins Stadion locken?

Ich halte den Zuschauerschnitt in Mainz nicht für bedenklich. Wir haben rund 28.000 Zuschauer im Schnitt bei einer Einwohnerzahl von etwa 200.000. Also ist der Schnitt in Relation gar nicht schlecht. Dennoch ist ein Rückgang zu bemerken. Das liegt zum einen daran, dass der Reiz des Neuen nach dem Bau des Stadions verlorengegangen ist. Sicherlich hat auch die Unruhe im Verein einen Beitrag geleistet. Und zum Dritten geht der Trend einfach weg von der Dauerkarte zur Tageskarte. Das liegt zu einem Teil darin begründet, dass die Planbarkeit des Stadionbesuchs immer schwerer wird. Wir hatten vergangene Saison sechs Spiele an einem Wochentag zwischen Montag und Freitag. Bei diesen Spielen hatten wir einen Rückgang um fast vier Prozent, während die Zuschauerzahl bei den anderen Spielen konstant war. Dennoch möchten wir die Fans wieder dazu bewegen, dass sie sich eine Dauerkarte kaufen, und werden natürlich auch viel dafür tun.

Bei unserem ersten Gespräch gestanden Sie ein, dass Sie als gebürtiger Rheinländer natürlich als Kind nicht in Mainz-05-Bettwäsche geschlafen haben. Machen Sie das mittlerweile oder wenigstens Ihre Kinder?

Bis zur Bettwäsche ist es bisher noch nicht gekommen. Aber mein Sohn ist genauso glühender Mainz-Fan geworden wie ich. Sein ursprünglicher Lieblingsverein ist Borussia Dortmund, aber er hat sich wie ich natürlich auch wahnsinnig gefreut, als wir dort gewonnen haben am Ende der Vorsaison.

Sie leben im Taunus. Geht er im Eintracht-Stammland mutig im Trikot zur Schule?

Zur Schule nicht, aber ins Fußballtraining.

Wie kommt das bei den Kameraden an?

Gut. Weil die allermeisten Menschen Mainz 05 sehr sympathisch finden, wie immer wieder auch Studien belegen. Und das ist entgegen der Erwartung unter vielen Eintracht-Sympathisanten gar nicht so anders.